Schuljahr 2023/24
Inzwischen hat sich Weiteres entwickelt. Mit den juridischen Grundlagen zur „Gesellschaftlichen Bildung“ wurden die Schulen vor neue Herausforderungen gestellt.
Wir haben uns entschieden, „gesellschaftliche Bildung“ auf mehreren Ebenen anzugehen. Eine wichtige Säule bleibt die Wochenstunde „fächerübergreifendes Lernen“, die wir – in unserer besonderen Organisationsform, so wie weiter unten beschrieben – beibehalten möchten.
Die Zusammenarbeit zweier oder mehrerer Lehrpersonen an diesen besonderen Unterrichtstagen bleibt ebenfalls bestehen. Was sich aufgrund verschiedener Rückmeldungen änderte, war die Tatsache, dass die Lehrpersonen nunmehr fast ausschließlich dem Klassenrat der Klasse entstammen, der sie zugeteilt werden. Das ermöglicht auch, dass die Fertigkeiten und Kompetenzen, die über FU aufgebaut werden, auch im Regelunterricht mit größerem Selbstverständnis entsprechend genutzt und weiterentwickelt werden.
Die grundsätzlichen Vorgaben der „gesellschaftlichen Bildung“ haben wir dazu verwendet, um für jede Fachrichtung ein besonderes Curriculum zu erstellen. Die Anliegen sollten nicht abstrakt und zusätzlich abgehandelt werden, sondern die besonderen Ausbildungsschwerpunkte der einzelnen Fachrichtungen ergänzen und aus ihnen heraus entwickelt werden.
Damit ist das Bewusstsein für Fächer übergreifenden Unterricht weiter gewachsen, die Grundlagen wurden weiter gefestigt.
Allerdings gelingt auch nach weiteren Arbeitsjahren das fächerübergreifende Arbeiten nicht in allen Teams und Klassenräten gleich gut.
Während es in vielen Klassen wirklich ganz besonders ansprechende Projekte und Umsetzungen gibt, ist in einzelnen Klassen fächerübergreifender Unterricht noch immer ein Fächerpuzzle, kein wirklich gemeinsames und übergreifendes Arbeiten.
Dieser Schritt ist in den nächsten Jahren in der gesamten Schule umzusetzen – nicht nur für die fächerübergreifenden Tage, sondern auch für ein Unterrichtsverständnis, für ein Bildungsverständnis, das eben nicht auf den Schubladen einzelner Fächer aufbaut, sondern die Vernetzungen sieht, die Chancen nutzt und v.a. auch Schüler*innen und Schüler mit diesen vielfältigen Verbindungen wachsen lässt.
Schuljahr 2016
Fächerübergreifender Unterricht aus der Sicht einer Schulführungskraft – eine große Chance…
Mit der Oberschulreform 2010 wurde auch 1 Wochenstunde fachübergreifender Unterricht im Curriculum festgelegt – eine Herausforderung für uns alle. Und äußerst spannend, was die einzelnen Schulen alles aus dieser einen Stunde fächerübergreifenden Lernens gemacht haben. Die Vielfalt der Entwicklung zeigt etwas Zentrales auf: dass es ganz unterschiedliche Bedürfnisse gibt und dass die Schulen auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse auch unterschiedlich reagieren müssen.
Das Konzept des fächerübergreifenden Unterrichts ist nicht neu. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es in Deutschland z.B. eine Flut von Publikationen zu diesem Thema: Die Laborschule Bielefeld brachte 1994 einen Sammelband mit dem bezeichnenden Titel „Perspektivenwechsel“ heraus, die Herausgeber Ludwig Duncker und Walter Popp folgten 1998 mit dem Sachtitel „Fächerübergreifender Unterricht in der Sekundarstufe I und II. Prinzipien, Perspektiven, Beispiele“. 1 Ich habe die beiden Bücher hier zitiert, weil sie ausgehend von konkreten Praxisbeispielen Bedingungen und Ergebnisse dieser besonderen Unterrichtsformen reflektieren und die Vielfalt des Experiments gut heißen.
Das Gymnasium „Walther von der Vogelweide“ hat sich – unter großem Einsatz der Schulführungskraft – von Anfang an entschieden, den fächerübergreifenden Unterricht auch tatsächlich fächerübergreifend anzulegen, will heißen, den Unterricht mit einem Lehrerteam zweier unterschiedlicher Fächer zu gestalten. Das war die eine Voraussetzung. Die zweite Voraussetzung, die sich sehr schnell ergab, war die Anlage des Unterrichts. 1 Stunde pro Woche war nicht erfolgreich, weil viel zu sehr zersplittert. Deshalb wurde gemeinschaftlich beschlossen, den Unterricht zu blocken, ihn also mehrstündig anzulegen.
Aus diesen beiden Voraussetzungen ergaben sich im Lauf des nunmehrigen fünfjährigen Experiments weitere Veränderungen. Der fächerübergreifende Unterricht wird nämlich Jahr für Jahr unter Lehrpersonen und SchülerInnen evaluiert und von einem Team rund um die Schulführungskraft ausgewertet. Diese Veränderungen haben mit der Profilierung der verschiedenen Fachrichtungen zu tun. Während für den Landesschwerpunkt Musik Musikwerkstätten und Musikmanagement von Anfang an im Vordergrund standen, wurde im Kunstgymnasium länger experimentiert. Nun scheint ein gutes Profil endlich zu stehen: In der ersten und zweiten Klasse des Kunstgymnasiums geht es um Sprache und Sprachen, der Titel ist ähnlich dem fächerübergreifenden Unterricht im Sprachengymnasium, aber ganz anders ausgerichtet: Während im Sprachengymnasium sprachkulturelle Besonderheiten im FU-Unterricht der 1. und 2. Klasse im Vordergrund stehen, geht es im Kunstgymnasium um Ausdrucksfähigkeit, bildnerische und sprachliche. In der parallelen Anlage beider Ausdrucksformen im fächerübergreifenden Unterricht werden jeweilige Besonderheiten deutlich, können ausgelotet, getestet, verbessert werden. Natürlich ist dieses Arbeiten nur an bestimmten Themen sinnvoll und möglich, die aber Jahr für Jahr gewechselt und neu erprobt werden. Auch das gehört mit zum fächerübergreifenden Unterricht: die Lust am Erproben, am Experimentieren, die Lust daran über den Tellerrand des eigenen Faches zu blicken und Anderes zu sehen. Ab der 3. Klasse wird im Kunstgymnasium gemeinsam mit den Kunstwerkstätten gearbeitet: Verschiedene Fächer (Kunstgeschichte, Darstellende Geometrie, Sprachfächer, Geschichte, Philosophie, Werkstoffchemie) werden im Wechsel kombiniert und arbeiten an unterschiedlichen Fragestellungen. Im Sprachengymnasium dagegen steht ab der 3. Klasse der CLIL-Unterricht im Vordergrund. Geschichte in Spanisch oder Russisch oder Französisch, Kunstgeschichte in Italienisch, Recht und Wirtschaft in Italienisch, Ethik in englischer Sprache, Naturwissenschaften in Englisch, Physik in Italienisch, Mathematik in Englisch – da gibt es die verschiedensten Möglichkeiten und spannende Fragestellungen. Das Klassische Gymnasium dagegen konzentriert sich in der 1. und 2. Klasse auf Archäologische Werkstätten und intensive Fahrtvorbereitung der geplanten Romfahrt, in der 3. Klasse wird ein Schwerpunkt auf Kunstgeschichte und verschiedene Parallelfächer zum Thema „Antike Kunst und ihre Rezeption“ gelegt, ab der 4. Klasse dürfen sich die SchülerInnen entweder für CLIL Naturwissenschaften/ Englisch (zu bestimmten, mit den Schülern gemeinsam ausgewählten Fragestellungen) oder Recht und Wirtschaft/ Italienisch (ebenfalls zu bestimmten mit den Schülern gemeinsam ausgewählten Fragestellungen) entscheiden.
Der FU-Unterricht ist inzwischen eine interessante Ergänzung des Fachunterrichts geworden - mit Schwerpunktsetzungen, die sich für die einzelnen Fachrichtungen als wichtig erwiesen haben. Für SchülerInnen ist der FU-Unterricht deshalb besonders interessant, weil sie nicht nur einen Einzellehrer haben, sondern mit einem Lehrerteam arbeiten dürfen, v. a. aber auch, weil sie eine ganz andere Unterrichtsstruktur erleben dürfen, die von ihnen besonders geschätzt wird: Sie sind nicht dem üblichen Stundenwechsel ausgesetzt, sondern können mehrere Stunden über einzelne Tage hinweg intensiv an einem Thema arbeiten – eine Form, die SchülerInnen sehr anspricht.
Lehrpersonen stehen dem FU-Unterricht nach wie vor unterschiedlich gegenüber: Er wird von einigen noch immer als Zusatz, nicht als notwendige Ergänzung empfunden, manche tun sich schwer sich vom reinen Fachunterricht zu lösen, klagen über die Mehrarbeit, die mit der Konzeption und Planung des fächerübergreifenden Unterrichts verbunden ist, sie fühlen sich unsicher in der Zusammenarbeit mit einem anderen Fachbereich – es sind die üblichen von der Forschung2 bereits vielfach deutlich gemachten Hindernisse, die natürlich zu berücksichtigen und aufzuarbeiten sind. Dazu kommt die andere Form der Bewertung; wir haben uns an unserer Schule entschlossen, den fächerübergreifenden Unterricht erst am Ende des Schuljahres zu bewerten, mit einer Ziffernnote, die aber nicht zum Notendurchschnitt gezählt werden darf; einige Lehrpersonen klagen darüber, dass SchülerInnen sich weniger anstrengten, wenn die Note so locker gesehen wird – eigentlich ein Unding und etwas, was auch in der Oberschule unbedingt verändert werden müsste: nämlich unser Verständnis von Ziffernnoten und unser Umgang mit Noten und Bewertungen allgemein3. Es gibt aber auch überaus positive Aspekte des FU-Unterrichts, die auch von Lehrpersonen hervorgehoben werden: Die Teamarbeit hat einen hohen Plusfaktor, man schätzt das gegenseitige Lernen, junge Lehrpersonen empfinden es als besondere Chance, etwas gemeinsam mit anderen Lehrpersonen zu entwickeln, der FU-Unterricht wird teilweise auch klassenübergreifend geplant, es gibt sehr viele, ganz tolle Ideen sowie interessante und beeindruckende Fragestellungen; der FU-Unterricht wird als eine andere Form des Unterrichtens wahrgenommen, mit der absoluten Notwendigkeit, sich auch ungewohnte Präsentations- und Lernformen zu überlegen und sie zu erproben. Und der Versuch, für unsere Schule Grundlinien zu finden, sie aber im Detail von den Lehrpersonen selbst entwickeln zu lassen, hat sich als absolut wichtig herausgestellt – so wie auch die Schulpolitik den einzelnen Schulen eine Entwicklungschance über den FU-Unterricht gegeben hat. Es ist das Beste, was uns passieren konnte, nämlich die Möglichkeit zu haben, Bedürfnisse vor Ort einzuschätzen, gemeinsam zu sehen, gemeinsam daran zu arbeiten, neue Herausforderungen im eigenen Schulkontext wahrzunehmen, sich ihnen zu stellen. Ein Desiderat an unserer Schule bleibt noch: nämlich den fächerübergreifenden Unterricht irgendwann auch fächervernetzend zu gestalten und diese Fächervernetzung über den fächerübergreifenden Unterricht hinaus ganz bewusst und konsequent immer wieder zu suchen. Es gibt einige sehr positive Beispiele, aber flächendeckend ist uns das noch nicht gelungen. Aber ich bin zuversichtlich: Die verschiedensten Fachkombinationen, die ganz unterschiedlichen Themen in ganz unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, die jedes Jahr gefunden werden, die interessanten Materialien, die gemeinsam entwickelt wurden, regen an, diese Arbeit auch in anderen Kontexten fortzusetzen: Mathematik und Englisch (Kryptographie), Religion und Englisch (Fundamentalismus), Geschichte/ Philosophie und Englisch (Radikalisierungsprozesse heute), Italienisch und Physik (bionica e biomimetica), Französisch und Kunstgeschichte (La ville de Paris e les arts), Geschichte und Spanisch (Los cánones de la belleza a lo largo de la historia); Deutsch und Kunstgeschichte (Museumsbesuch in München und Vor- und Nachbereitung einmal anders in unterschiedlichen Textsorten und in Schreibkonferenzen sowie in ungewohnten und ungewöhnlichen Präsentationsformen), Naturwissenschaften und Englisch (Klimawandel oder Ernährungsproblematik vertieft), mehrsprachige Zeitungslektüre und Diskussionen, Visuelle Kommunikation, Schreiben von Fachtexten mit einem Lehrerteam, aktuelle Fragen aus Politik und Wirtschaft (teilweise auch mit Experten von außen) …
Wenn wir auf die Frage nach dem Perspektivenwechsel, die sich ja die Laborschule Bielefeld gestellt hat, zurückkommen, und die von Bielefeld angeführten konkreten Aspekte berücksichtigen, dann lautet die Antwort: Ja und Nein. Ja, der FU-Unterricht hat zu einem Perspektivenwechsel in Bezug auf Lernreflexion und Lernassessment geführt. Ja, er hat etwas in Bezug auf konkrete Teamarbeit verändert. Ja, er hat „neue“, andere Themen und Sichtweisen in den Unterricht eingeführt. Aber es gibt noch ein Nein in Bezug auf tatsächliche Fachvernetzung, es gibt noch ein Nein in Bezug auf absolute Perspektivenerneuerung, da braucht es noch einige Entwicklungsschritte (der Anfang ist zumindest durch den FU-Unterricht gemacht, die schulinterne Diskussion im Gange). Es gibt noch ein Nein in Bezug auf Erfahrung von Wissenschaft im Prozess (das ist ein wunderschönes, aber überaus hehres Ziel im Schulunterricht, viele Lehrer sehen hier keine konkrete Umsetzungsmöglichkeit, auch hier braucht es noch viel Reflexion und Teamarbeit).
Weitere Ziele, weitere Schritte unserer Arbeit müssen ebenfalls sein: fächerübergreifendes Arbeiten nicht nur in der vom Stundenplan vorgesehenen einen Stunde zu ermöglichen, sondern das Ganze noch konsequenter als bisher zu erweitern. Dazu leistet der FU-Unterricht mit seinen konkreten Anforderungen einen ganz wichtigen Beitrag. Und es braucht ein ganz klares Bewusstsein, wie Fach- und fächerübergreifender Unterricht ausgelotet sein müssen. Das Eine kann das Andere nicht ersetzen, sondern es braucht eine maßvolle gegenseitige Ergänzung. Dafür bietet der FU-Unterricht eine wichtige Grundlage: Denn der praktische, direkt erforderliche Ideenreichtum und die regelmäßige konzeptionelle Klärung durch besonders ausgebildete Teams sind innerhalb unserer Schule gegeben und bieten Impulse zur Weiterentwicklung.
Duncker/Popp haben in ihrem Band fünf Spielarten fächerübergreifenden Unterrichts festgehalten:
Erweiterung schulfachbezogener Arbeitsformen
Verknüpfung fachlicher Perspektiven zu einem Thema
Ausgestaltung fächerverbindender Lehrpläne und Curricula
Entwicklung von Schulprofilen
Konzipierung neuer Schulprofile.
Für unsere Schule gelten bisher v. a. zwei Aspekte (die Erweiterung schulfachbezogener Arbeitsformen und die Entwicklung von Schulprofilen). Ein besonderes Entwicklungsdesiderat wäre, die Bereiche 2 und 3 in allen Fachrichtungen noch stärker und v. a. vertiefter und auf alle Fachrichtungen bezogen zu berücksichtigen. Aber das ist nicht nur eine Arbeit für den FU-Unterricht, sondern tagtägliche Entwicklungsarbeit – der FU-Unterricht kann aber auch hierfür wichtige Impulse und Diskussionsgrundlagen geben.
Martina Adami
1 U. Krause-Isermann, J. Kupsch, M. Schumacher (Hrsg.), Perspektivenwechsel. Beiträge zum fächerübergreifenden Unterricht für junge Erwachsene, Bielefeld 1994 (Ambos – Arbeitsmaterialien aus dem Bielefelder Oberstufenkolleg) - Ludwig Duncker, Walter Popp (Hrsg), Fächerübergreifender Unterricht in der Sekundarstufe I und II. Prinzipien, Perspektiven, Beispiele, Bad Heilbrunn 1998
2 s. u.a. die Übersicht von Marion Raffelsiefer unter Fächerübergreifender Unterricht (PPT) oder die Studie von Petra Häsing, Fächerübergreifender Unterricht in der gymnasialen Oberstufe aus Sicht der Lehrenden (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-620-6.volltext.frei.pdf)
3 Aber da bräuchte es eine längere und sehr intensive Diskussion, die an dieser Stelle leider nicht möglich ist.